Rezept gegen Restaurant-Grabscher
Das Problem: 80 Prozent der weiblichen Restaurant-Angestellten sind schon mal sexuell belästigt worden.
Die Lösung? Ein simpler Drei-Stufen-Plan, der gleich bei den ersten Anzeichen greift.
Anzügliche Bemerkungen, eindeutige Einladungen, Klapse auf den Po oder gar ein Griff unter die Bluse: In wenigen Branchen sind sexuelle Übergriffe so verbreitet wie in der Gastronomie. Und es sind nicht nur berühmte Kochstars wie Mario Batali oder Ken Friedman, die jüngst ihre Restaurants in #MeToo-Zeiten wegen massiver Anschuldigungen verloren. Eine Studie des amerikanischen »Restaurant Opportunities Centers United« kam zu dem Schluss, dass bereits 80 Prozent der Frauen in Restaurant-Betrieben sexuell belästigt wurden – von Kunden, Kollegen und ihren Chefs. Übrigens geben auch 49 Prozent der Männer in der Gastronomie an, sie hätten schon Belästigung erlebt.
Drei-Stufen-System gegen #MeToo
Erin Wade, Chefin des Restaurants "Homeroom" im kalifornischen Oakland entwickelte ein einfaches Drei-Stufen-System, mit wlchem Sie solchen Übergriffen elegant vorbeugen und kritische Situationen vermeiden können. Und: Sie geben ihren Mitarbeiterinnen Rückhalt und Sicherheit. Stufe Gelb ist ein unangenehmes Gefühl oder ein Blick, der einen unwohl macht. Stufe Orange ist zum Beispiel ein anzüglicher Kommentar, der als Belästigung aufgefasst werden kann oder auch nicht, je nachdem wie er gesagt wurde, zum Beispiel 'Ich mag dein T-Shirt'. Rot ist eine eindeutig sexuelle Bemerkung oder eine Berührung. In jedem Fall werden sofort Konsequenzen gezogen: Bei Gelb bleibt es der Servicemitarbeiterin überlassen, ob sie an dem Tisch weiter bedienen will oder ob ein Manager übernehmen soll. Sie muss nur sagen: "Gelb an Tisch drei, übernimmst du bitte?" Keine weitere Erklärung nötig. Bei Orange übernimmt der Manager sofort, bei Rot fordert der Manager den Gast auf, das Restaurant zu verlassen. Vor drei Jahren hat Erin Wade das System eingeführt; der durchschlagende Erfolg war für alle überraschend: "Das hat das Problem sofort entschärft. Früher hatten wir ständig Rot, nun passiert es höchstens einmal im Jahr", sagt Wade. "Das Farbensystem ist eine elegante Lösung, denn unsere Mitarbeiter müssen ihr Bauchgefühl nicht in Frage stellen, nicht daran zweifeln, ob sie eine Bemerkung falsch aufgefasst haben oder nicht, sie müssen auch nichts erklären oder rechtfertigen. Wenn sich eine Mitarbeiterin an einem Tisch nicht wohlfühlt, dann soll sie dort auch nicht bedienen müssen. Fertig." Das sofortige Eingreifen ändert die Dynamik auf einer ganz grundlegenden Ebene. Es setzt schon den ersten Anflügen ein Ende, bevor es eskalieren kann. Frauen sind gut darin, früh zu erkennen, wann ein Gast zum Problem wird. Vielleicht mustert ein Gast eine Kellnerin von oben bis unten und überlegt, ob er sich was trauen soll, und bevor er dazu kommt, hat schon ein Kollege übernommen und der Gast hat gar keine Gelegenheit mehr, mit der ersten Kellnerin in Kontakt zu treten. Der Farben-Code lässt sich übrigens auch ausgeweiten auf rassistische Bemerkungen oder überhaupt, wenn ein Kunde ausfällig wird.
Übrigens: Männer und Frauen beurteilen sehr oft unterschiedlich, was sie als bedrohlich oder unangemessen empfinden. Servicemitarbeiterinnen empfinden vielleicht manchmal etwas als Belästigung, das von einem männlichen Manager als unwichtig abgetan wird. Es ist daher nie von Vorteil, wenn eine ganze Management-Ebene nur aus einem Personenkreis besteht, egal ob das Männer oder Frauen sind. Es gibt vor allem zwei Faktoren, welche sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz begünstigen: männlich dominierte Führungsstrukturen und sehr hierarchische Strukturen.
Weil ihre Methode so gut funktioniert, entwickelt Wade gerade ein Training, das sich auf andere Gastronomie-Betriebe und Firmen übertragen lässt. Seit sie in der Washington Post einen Kommentar über ihr System schrieb, kann sie sich vor Anfragen kaum retten. "Ich hoffe, es ist der Beginn einer Bewegung, ehrlich", sagt sie. "Die Revolution, die wir brauchen, besteht nicht nur darin, mächtige Männer auszubooten, die sich daneben benehmen, sondern auch darin, den Status von Frauen zu erhöhen."
(Quelle: sz-magazin.sueddeutsche.de)